Sonntagsgruß 28.4. - Predigtreihe Protest

Christentum und / als Protest

Es geht um den stillen Protest. Christ sein, Protest-ant sein, weil man tut, was man seinem Gewissen nach tun muss – so wie der barmherzige Samariter; weil man sagt, was wichtig ist, auch wenn es provozieren mag – so wie Jesus.


EVANGELIUM nach Lukas, Kapitel 10, 30-35 (Lutherbibel):

Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halb tot liegen. Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber. Desgleichen auch ein Levit: Als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber. Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte es ihn; und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme. 


GEDANKEN

Der barmherzige Samariter wird zum Provokateur für den Priester und den Leviten, für die eigene Familie und Freunde und für uns Leserinnen und Leser. Er protestiert durch Treue zu seinem persönlichen Fundament. Seine Entscheidung zu helfen war nicht bewusst geplant, kein Ergebnis reiflichen Abwägens, auch kein Akt der plötzlichen Empörung. Er wollte nicht provozieren oder Aufsehen erregen, um in der Öffentlichkeit zu stören und politische oder gesellschaftliche Ziele zu erreichen. Und doch wurde er vielen Menschen zur Provokation.

Aber nicht nur der Samaritaner wird zum Protest-Anten: Auch der Überfallene protestiert. Er ist zwar stumm, aber er fordert doch lautstark Hilfe – ohne gesellschaftliche Schranken, ohne religiöse Gesetze, ohne Scham – „Hilf mir, oder ich verdurste!“ – er tritt öffentlich ein und bezeugt seine Hilflosigkeit in einer unangenehmen Totalität. Er ist so gesehen irgendwie aus der Welt, dem Normalen, herausgefallen. Sein Halbtot-Daliegen ist ein Protest gegen den Zustand hier und jetzt in dieser Welt – für die, die es hören können.

Werden der Priester und der Levit aus dem Gleichnis ihre Haltung überdenken? Wird das Opfer, das vielleicht selbst Jude war, seine Einstellung zu den ausländischen Samaritanern überdenken? Wird der Wirt seine soziale Ader entdecken?

Und schließlich – wie gehen wir mit den vielen Provokationen Jesu um? Wir, als Bibellesende 2000 Jahre später. Stellen wir uns immer gleich auf die Seite des Super-Jesus, der jedes Rededuell gewinnt und seine Gegner alt aussehen lässt? Oder können wir es zulassen, Jesu Botschaft auch einmal gegen uns zu lesen, uns mit den Gegnern Jesu zu identifizieren und damit den Protest in seiner Botschaft erst wirklich für uns erschließen? Also weniger idealer Samariter und mehr realer Levit.

Protest entsteht erst durch die Wahrnehmung des Protests durch andere – und, ergänzend – als Anfrage an mich selbst, mein Verhalten und mein Denken.

Auszug aus der Predigt von Lektor Armin Aigner

Zuletzt bearbeitet am: 27.04.24, 08:52
Geschrieben von: anpe