Sonntagsgruß 14.4.

PREDIGTTEXT: Joh 2,12-17

Und das Passafest der Juden war nahe, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. Und er fand im Tempel die Händler, die Rinder, Schafe und Tauben verkauften, und die Wechsler, die da saßen. Und er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle zum Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern und schüttete den Wechslern das Geld aus und stieß die Tische um und sprach zu denen, die die Tauben verkauften: Tragt das weg und macht nicht meines Vaters Haus zum Kaufhaus! Seine Jünger aber dachten daran, dass geschrieben steht: »Der Eifer um dein Haus wird mich fressen.«



DER UNBEQUEME PROTEST

Eine der bekanntesten Szene der Evangelien ist diese, in der Jesus einen Aufruhr im Jerusalemer Tempel veranstaltet. Während dies in den synoptischen Evangelien im Vorfeld der Passion erzählt wird (Mk 11,15-17; Mt 21,12f.; Lk 19,45f.), wird sie im Johannesevangelium an den Anfang von Jesu Wirksamkeit gestellt (Joh 2,13-17).

In vielen Bibeln wird bis heute diese Szene als „Tempelreinigung“ bezeichnet. Das impliziert allerdings, dass das Jerusalemer Heiligtum unrein gewesen wäre, was in den Evangelien nirgends angedeutet wird. Daher spricht man in der gegenwärtigen Exegese von der „Tempelaktion“ Jesu, um keine unnötigen Wertungen einzutragen.

Die Aktion Jesu trägt alle Kennzeichen eines zeichenhaften Protestes: „Er ging in den Tempel und fing an, die Händler auszutreiben“, so beschreibt es Lukas. Nach den anderen Evangelien stieß er Tische von Geldwechslern und Taubenhändlern um, nach Johannes vertrieb er sogar alle Opfertiere.

Wer einmal in Jerusalem war und den Tempelberg gesehen hat, ein Areal von etwa 14ha, weiß, dass Jesus nicht alle aus diesem Bereich vertreiben hätte können. Was er nach den Evangelien tat, war vielmehr ein Zeichen des Protests gegen die ökonomische Funktionalisierung des Heiligtums. Die Geldwechsler verdienten daran, dass im Tempelareal nur eine bestimmte Münze gültig war, die Händler von Opfertieren an den saftigen Aufschlägen. Jesu Protest war also nicht nur unangenehm, sondern auch wirtschaftsschädigend. Als Reaktion darauf, so zumindest die Evangelien nach Matthäus und Lukas, beschlossen die Eliten Jerusalems, diesen „Tempelterroristen“ so schnell wie möglich loszuwerden.

Historisch ist wahrscheinlich, dass die Tempelaktion einer der Anlässe für die Hinrichtung Jesu durch die Römer war. Immerhin hatte er mit seinem Protestzeichen im Zentrum der religiösen Welt des Judentums für Unruhe und Aufstand gesorgt. Ausgerechnet dort, wo fromme Menschen Gott anbeteten und Opfer brachten, wie sie in der Tora vorgeschrieben waren, wurde Jesus gewalttätig. Hätte er nicht wie sonst einfach nur reden können?
Anstößiger, unangenehmer Protest, der irritiert, verärgert oder gar zu Gewaltmaßnahmen führt, hat in der Tradition Israels eine lange Tradition. Die Propheten, die in der Regel ja eigentlich durch Worte wirkten, griffen manchmal auf das Mittel der Zeichenhandlung zurück: So wird etwa erzählt, dass Jesaja drei Jahre nackt in Jerusalem herumgelaufen war, um auf die drohende Niederlage gegen die Assyrer hinzuweisen, die keiner wahrhaben wollte (Jes 20,3). Hosea hatte eine Prostituierte geheiratet, um Israels Treulosigkeit gegenüber Gott deutlich zu machen (Hos 1,2). Auch das Wirken von Johannes dem Täufer als Asket in der Wüste (Mk 1,4-6) ist ein Zeichen für das nahe Gericht Gottes.

Der störende, aufrüttelnde Protest Jesu findet sich auch bei anderen Protagonisten. Sie versuchten, auf Missstände und drohendes Unheil hinzuweisen, indem sie sich entgegen der herkömmlichen Norm verhielten. Franz von Assisi stellte sich der Legende nach nackt vor den Bischofspalast. Luther verbrannte 1520 die Bannbulle des Papstes öffentlichkeitswirksam. Die katholischen „Cantonsville Nine“ stahlen 1968 als Protest gegen den Vietnamkrieg Einberufungsakten. Klimaaktivist:innen blockieren heute den Autoverkehr, um vor der drohenden Klimakatastrophe zu warnen. In allen Fällen, wie auch bei Jesus, reagierte die Mehrheit ablehnend, doch ein Protest, der angenehm ist, ist ja auch keiner. Gerade wir Protestant:innen sollten uns dessen bewusst sein.

Pfarrer im Ehrenamt Markus Öhler

Zuletzt bearbeitet am: 12.04.24, 16:21
Geschrieben von: anpe